Spirituelle Sichtweise: Gedanken sind wie Wolken

Spirituelle Sichtweise: Gedanken sind wie Wolken – Eine elektrisierende Einsicht aus dem Vijñāna Bhairava Tantra

Einführung in die tantrische Philosophie

Dieser Artikel ist inspiriert durch das Video von Christopher Wallis zu Vers 99 des Vijñāna Bhairava Tantra. Wallis‘ tiefgehende Analyse des Verses bietet eine einzigartige Perspektive, die hilft, die oft missverstandene Natur von Gedanken und Bewusstsein besser zu durchdringen. Sein tiefes Verständnis und die Analyse dieses Verses bilden die Grundlage für die folgenden Reflexionen und Einsichten.

Tantrik Yoga ist weit mehr als eine körperliche Praxis – es ist eine tiefgreifende Lehre, die uns den Weg zur Selbsterkenntnis und zum Verstehen unserer wahren Natur weist. Im Zentrum dieser Philosophie steht die Einsicht, dass unser Bewusstsein das Fundament aller Erfahrung ist. Tantrik Yoga befähigt uns, die Schleier der Illusion zu durchdringen und die Realität in ihrer Ganzheit zu erkennen. Eine der grundlegenden Schriften, die uns auf diesem Weg begleitet, ist das Vijñāna Bhairava Tantra. Dieser Text enthält verschiedene Meditationspraktiken und gibt uns tiefe Einsichten in das Wesen des Bewusstseins. In diesem Beitrag betrachten wir Vers 99 und seine tief transformative Bedeutung für unser tägliches Leben.

Gedanken sind wie Wolken

In tiefer Meditation sitzt ein Mensch im goldenen Licht des Sonnenuntergangs, während die Wolken wie vorbeiziehende Gedanken am Himmel schweben – ein Symbol für innere Ruhe und Achtsamkeit im Einklang mit der Natur.

Eine moderne Geschichte zur Einsicht – Gedanken gehören niemandem

Lisa, eine Produktmanagerin, fühlt sich von Meetings, E-Mails und Deadlines ausgelaugt. Ihr Kopf ist voller Gedanken an To-do-Listen und Erwartungen ihrer Vorgesetzten. Trotz Erfolg fühlt sie sich müde und gestresst.

Eines Abends entschied sie sich, eine Übung auszuprobieren: Gedanken beobachten, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Sie setzte sich hin, atmete tief ein und nahm einfach wahr, was in ihrem Kopf vorging.

Zuerst herrschte Durcheinander – Gedanken schossen hin und her. Doch anstatt darauf zu reagieren, bemerkte sie sie nur. Nach einer Weile erkannte Lisa, dass Gedanken wie Wolken kommen und gehen. Sie verstand, dass sie diese nicht kontrollieren konnte und dass sie auch nicht „ihre“ Gedanken waren.

Diese Einsicht war befreiend. Sie musste nicht jeder Sorge nachgehen. Stattdessen konnte sie die Gedanken einfach beobachten und weiterziehen lassen.

In den folgenden Wochen bemerkte Lisa eine Veränderung: Gedanken hatten weniger Einfluss auf ihr Wohlbefinden. Sie lächelte über aufkommende Sorgen und verstand, dass diese nur flüchtig waren. Es ging nicht darum, Gedanken loszuwerden, sondern ihnen weniger Bedeutung zu geben.

Lisa fühlte sich weniger gestresst, geduldiger und traf Entscheidungen aus einer inneren Ruhe heraus. Sie hatte endlich den Raum gefunden, ihre Gedanken aus der Distanz zu beobachten, ohne sich von ihnen definieren zu lassen.

Gedanken entstehen spontan – Die Essenz von Vers 99

Christopher Wallis betont, dass das Wort Jñāna besser mit ‚Kognition‘ übersetzt wird als mit ‚Wissen‘. ‚Wissen‘ erweckt den Eindruck, es gehe nur um intellektuelles Verständnis, während ‚Kognition‘ alle mentalen Prozesse umfasst – einschließlich spontaner Wahrnehmungen und Gedanken. Diese Übersetzung zeigt, dass es nicht nur um Wissen, sondern um das gesamte Spektrum mentaler Ereignisse geht, die im Bewusstsein erscheinen. So verstehen wir, dass nicht nur Wissen, sondern jedes mentale Geschehen ohne festen Ursprung ist.

Vers 99 des Vijñāna Bhairava Tantra

Nirnimittaṁ bhavet jñānaṁ nirādhāraṁ bhramatmakam tattvato niścalībhūtaṁ śivamātropalabdhikam.

In einfacher Sprache bedeutet das:

„Gedanken entstehen ohne einen festen Grund und ohne eine klare Ursache. Sie ziehen wie Wolken durch unser Bewusstsein. Gedanken sind wie Wolken, die vorbeiziehen, ohne dass wir sie festhalten können. Wenn wir erkennen, dass diese Gedanken keinem Besitzer gehören, entdecken wir die unveränderliche Essenz unseres Selbst – das reine, göttliche Bewusstsein, auch bekannt als Shiva.“

Dieser Vers zeigt, dass Gedanken spontane Erscheinungen sind, die ohne festen Ursprung entstehen. Wallis betont, dass ihre Natur verwirrend wirkt, da sie unvorhersehbar auftauchen, ähnlich wie ein chaotischer Strom. Ein Beispiel ist ein plötzlich auftauchender Gedanke an eine längst vergangene Situation, der keinen Bezug zur Gegenwart hat. Diese Unordnung kann uns dazu verleiten, uns in Gedanken zu verlieren, anstatt den Moment bewusst wahrzunehmen. Wir identifizieren uns oft mit den Gedanken und glauben, sie kontrollieren zu können, was Verwirrung schafft. Gedanken sind jedoch wie Wolken – sie kommen und gehen, ohne dass wir sie festhalten oder besitzen können. Diese Einsicht hilft, die Illusion des persönlichen Denkens zu durchschauen und ist essenziell im tantrischen Verständnis des Bewusstseins.

Die Illusion der Gedankenkontrolle

Im Tantrik Yoga wird erkannt, dass Gedanken nicht unser Eigentum sind. Sie tauchen spontan auf und verschwinden wieder, ohne dass wir über ihre Entstehung oder ihr Ende die Kontrolle haben. Oft glauben wir, dass wir unsere Gedanken bewusst steuern können, doch laut tantrischer Lehre ist dies eine Illusion. Der Gedanke des „Ich denke“ ist selbst nur ein weiteres Konstrukt des Geistes – ein Produkt des Ego. Wallis macht deutlich, dass wir nicht der ‚Denker der Gedanken‘ sind, sondern dass die Gedanken spontan entstehen. Das Gefühl der Kontrolle über unsere Gedanken ist eine Illusion – selbst die Vorstellung, dass wir unsere Gedanken steuern, ist nur eine weitere spontane Erscheinung des Geistes.

Die Idee, dass es ein separates „Ich“ gibt, das die Gedanken kontrolliert, gehört zu den tiefsten Illusionen, die uns von unserer wahren Natur trennen. Diese Einsicht hilft uns, das Ego loszulassen und zu erkennen, dass wir mehr sind als unsere Gedanken. Wallis unterscheidet außerdem, dass viele Gedanken durch unsere Konditionierungen beeinflusst sind, während andere aus einer tieferen Ebene der Einsicht entspringen können, unabhängig von bisherigen Prägungen. Zum Beispiel könnte ein Gedanke, der auf einer tiefen Einsicht basiert, plötzlich auftauchen und eine neue Perspektive auf eine schwierige Situation bieten, während konditionierte Gedanken meist aus erlernten Mustern und alten Erfahrungen hervorgehen. Diese Unterscheidung zeigt, dass wir nicht immer durch unsere Konditionierungen festgelegt sind.

Shiva – Das universelle Bewusstsein jenseits des Egos

Im tantrischen Weltbild wird das Ego als eine Illusion gesehen, die uns von unserer wahren Essenz trennt. Diese Essenz ist Shiva, das universelle Bewusstsein, das alle Gedanken und Erfahrungen hervorbringt. Shiva ist nicht getrennt von der Welt oder dem individuellen Selbst – er ist die Einheit allen Seins. Wenn wir dies erkennen, fallen die Grenzen zwischen dem „Ich“ und der Welt. Wir erfahren uns als Teil eines größeren Ganzen.

Diese Erkenntnis ist eine tief transformierende Erfahrung. Wenn wir unser wahres Selbst als Shiva erkennen, lösen sich die Ketten des Egos, und wir erleben innere Freiheit. Wir müssen uns nicht länger mit unseren Gedanken identifizieren, sondern verstehen, dass wir das Bewusstsein sind, das diese Phänomene beobachtet. Wallis lädt uns ein, die Qualität der Gedanken zu erleben, anstatt sie intellektuell zu analysieren. Eine Übung besteht darin, bei einem Gedanken innezuhalten und zu spüren, wie er sich anfühlt – hat er eine Farbe, eine Temperatur oder eine Bewegung? Diese Betrachtungsweise hilft, Gedanken als flüchtige Energien wahrzunehmen, ohne sich mit ihrem Inhalt zu identifizieren.

Transformation der Wahrnehmung – Vom Ego zur Freiheit

Zu verstehen, dass Gedanken uns nicht gehören und spontan entstehen, verändert unsere Wahrnehmung grundlegend. Wir beginnen zu begreifen, dass wir mehr sind als unsere Gedanken oder das Ego. In der tantrischen Praxis wird dies als Erwachen bezeichnet – ein Zustand des Gewahrseins, in dem das „kleine Ich“ verschwindet und wir die Welt aus einer größeren Perspektive betrachten.

Im Alltag zeigt sich dieses Erwachen in Form eines tiefen inneren Friedens und einer Verbundenheit mit allem Lebendigen. Sorgen und Ängste verlieren an Gewicht, da wir nicht mehr an unseren Gedanken haften. Wir handeln spontaner und aus einer tiefen inneren Ruhe heraus.

Die Praxis des tantrischen Erwachens

Vers 99 des Vijñāna Bhairava Tantra lädt uns ein, unsere Gedanken ohne Bewertung zu beobachten. Indem wir uns ihrer Ursprünge bewusst werden, erkennen wir ihre flüchtige Natur. Eine einfache Meditationsübung besteht darin, während der Meditation den Fluss der Gedanken zu beobachten, ohne sich mit ihnen zu identifizieren. Diese Praxis schafft Raum im Bewusstsein, in dem wir unsere wahre Natur als Shiva – als universelles Bewusstsein – erfahren können.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Praxis nicht immer leicht ist. Viele Menschen finden es herausfordernd, ihre Gedanken einfach nur zu beobachten, ohne sich von ihnen mitreißen zu lassen. Es kann frustrierend sein, wenn die Gedanken immer wieder die Aufmerksamkeit einnehmen. Ein hilfreicher Tipp ist, geduldig mit sich selbst zu sein und sich daran zu erinnern, dass der Prozess der Beobachtung selbst schon ein wichtiger Schritt ist. Auch wenn man sich immer wieder in Gedanken verliert, ist jedes Mal, wenn man die Aufmerksamkeit zurückbringt, ein Fortschritt. Mit der Zeit wird diese Praxis leichter und die Fähigkeit, Abstand zu den eigenen Gedanken zu gewinnen, wächst.

Erwachen im Alltag – Ein befreites Leben

Das tantrische Erwachen bedeutet nicht, dass wir dem Alltag entfliehen müssen. Vielmehr geht es darum, uns noch tiefer auf die alltäglichen Erfahrungen einzulassen. Mit der Erkenntnis, dass Gedanken uns nicht festlegen, können wir ein freieres, authentischeres Leben führen. Entscheidungen entstehen nicht aus Angst oder Ego, sondern aus innerer Klarheit und Ruhe.

Fazit – Die Kraft des tantrischen Bewusstseins

Vers 99 des Vijñāna Bhairava Tantra lehrt uns, dass Gedanken weder uns gehören noch eine feste Grundlage haben. Diese Einsicht hilft uns, die Illusion des Egos zu durchbrechen und unsere wahre Natur als Shiva zu erfahren. Dadurch entsteht tiefer innerer Frieden und wahre Freiheit. Tantrik Yoga ist ein Weg, der uns zu unserer Essenz führt – zu einem Bewusstsein, das grenzenlos und voller Möglichkeiten ist.


Weiterführende Quellen:

  1. Christopher Wallis: Video zu Vijñāna Bhairava Tantra Vers 99 – Eine tiefgehende Analyse. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=42LgUNjFnE4.
  2. Christopher Wallis: The Recognition Sutras – Eine umfassende Einführung in die Philosophie des tantrischen Shaivismus und die Lehren der Verse des Wiedererkennens.
  3. Vijñāna Bhairava Tantra – Eine klassische Schrift des tantrischen Shaivismus, die über 112 verschiedene Meditationstechniken lehrt, mit dem Ziel, das Bewusstsein zu erweitern und die Natur des Selbst zu erkennen.
  4. Siehe auch: Embodiment und Tantra: Die ideale Verbindung

Im Artikel beantwortete Fragen

  1. Was lehrt uns Vers 99 des Vijñāna Bhairava Tantra?
  2. Warum sind Gedanken nichts weiter als spontane Erscheinungen?
  3. Wie hilft die Erkenntnis über die Natur der Gedanken, das Ego loszulassen?
  4. Was bedeutet es, Shiva als das universelle Bewusstsein zu erkennen?
  5. Welche Herausforderungen bringt die Praxis des tantrischen Erwachens mit sich?

Stichwortliste

Tantrik Yoga, Vijñāna Bhairava Tantra, Gedanken, Bewusstsein, Meditation, Erwachen, universelles Bewusstsein.

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