Was ist Spanda

Spanda – die feine Schwingung der Wirklichkeit

Spanda im Tantrik Yoga – Die subtile Schwingung des Gewahrseins entdecken

Was bedeutet Spanda im nondualen Shaivismus?

Für Einsteiger:innen: Spanda – das leise Pulsieren des Lebens

Stell dir vor, es gibt eine unsichtbare Schwingung, die allem zugrunde liegt – deinem Atem, deinen Gedanken, den Geräuschen um dich herum. Diese Bewegung ist nicht laut oder spektakulär. Sie ist zart, wie das Zittern eines Tropfens vor dem Fallen.

Im Tantrik Yoga nennen wir diese Regung Spanda – ein Wort aus dem Sanskrit, das so viel bedeutet wie „Puls“, „Vibrieren“ oder „Lebensbewegung“.

Spanda ist der erste Impuls, der sich zeigt, bevor du denkst, sprichst oder handelst.

In der Meditation lernst du, diesem feinen inneren Puls zu lauschen. Vielleicht spürst du ihn im Übergang zwischen zwei Atemzügen, im Innehalten zwischen zwei Gedanken – oder einfach in einem Moment des Staunens.

Spanda ist das Zittern der Gegenwart – der Moment, in dem das Leben sich selbst spürt.“


Für Fortgeschrittene: Spanda als schöpferische Vibration des Gewahrseins

Im Kontext des nondualen Shaivismus bezeichnet Spanda nicht eine Bewegung von A nach B, sondern ein pulsierendes Offenbarwerden – die erste Regung des reinen Gewahrseins (Śiva), durch die sich dieses als schöpferische Kraft (Śakti) manifestiert.

In den Spanda-Kārikās, einem zentralen Text dieser Tradition, wird Spanda als ursprüngliche Dynamik des Seins beschrieben – eine Bewegung, die aus sich selbst heraus geschieht, ohne Ursache, Ziel oder Richtung.

Kshemarāja beschreibt Spanda als die Selbstreflexion des Gewahrseins (vimarśa), die Welt, Ich und Erfahrung zugleich erschafft. Diese Bewegung ist nicht von außen beobachtbar – sie ist das, was dich gerade jetzt sehen, lesen, atmen lässt.

Spanda ist kein Objekt der Meditation – sie ist das, was meditiert.


Spanda: Häufige Missverständnisse und Klarstellungen

Ist Spanda dasselbe wie Prāṇa?

Nein.
Prāṇa ist die Lebensenergie, die im Körper fließt – etwa durch Atem, Bewegung oder energetische Bahnen (Nāḍīs). Spanda hingegen ist feiner: Es ist das Pulsieren des reinen Gewahrseins, das allem zugrunde liegt – auch Prāṇa.

Prāṇa bewegt den Atem. Spanda bewegt das Sein.


Kann ich Spanda körperlich spüren?

Ja – aber anders, als du vielleicht denkst.
Spanda ist nicht eine körperliche Vibration wie ein Muskelzucken. Es ist eher eine feinstoffliche Wahrnehmung: ein inneres Aufleuchten, ein Innehalten, ein Impuls vor der Bewegung. Viele Menschen erleben Spanda im meditativen Raum – zum Beispiel in der Stille zwischen zwei Gedanken oder als Welle von Präsenz im Brustraum.


Ist Spanda ein esoterisches Konzept?

Nein.
Spanda ist kein „übernatürliches“ Phänomen, sondern ein tief erfahrbares Prinzip. In der tantrischen Sichtweise ist alles, was geschieht – von Emotionen über Gedanken bis zu Naturprozessen – Ausdruck dieses feinen Pulses. In der Stille wird er bewusst. In der Aktivität wirkt er verborgen.


Was ist der Unterschied zwischen Spanda und Śakti?

Spanda ist die Bewegung, Śakti ist die Kraft, die sich durch diese Bewegung ausdrückt. Śakti ist das schöpferische Potenzial des Gewahrseins – Spanda ist die erste Welle, mit der sich dieses Potenzial zeigt.


Begriffsübersicht:

BegriffBedeutung
SpandaSubtile Regung des Gewahrseins, Puls der Schöpfung
PrāṇaLebensenergie, Atemkraft im Körper
ŚaktiDynamische Ausdruckskraft des Seins
VimarśaSelbstwahrnehmung des Gewahrseins

Spanda spüren: Praxisimpuls für den Alltag

Mini-Übung: Den Zwischenraum fühlen
Dauer: 3 Minuten
Ort: Zwischen zwei Terminen, beim Warten, im Gespräch

Anleitung:

  1. Werde still – nimm einen bewussten Atemzug.
  2. Spüre den Moment zwischen Ein- und Ausatmung.
  3. Lege deine Aufmerksamkeit auf den Zwischenraum zwischen zwei Gedanken.
  4. Lausche, ob du eine feine innere Regung wahrnehmen kannst – ein Pulsieren, das allem zugrunde liegt.
  5. Bleibe dort – still, offen, wach.

„Was bewegt dich – bevor du dich bewegst?“


Spanda im Alltag: Eine gelebte Meditation

Du musst nicht auf einem Kissen sitzen, um Spanda zu erfahren. Es genügt, dich für die feinen Nuancen der Erfahrung zu öffnen:

  • Spüre den Impuls, bevor du sprichst.
  • Lausche der Stille zwischen zwei Klängen.
  • Erkenne, wie selbst das Begehren eine Bewegung des Gewahrseins ist.

So wird der Alltag zur Offenbarung des vibrierenden Selbst – ganz ohne äußere Rituale.


Spanda und moderne Wissenschaft

Obwohl Spanda ein metaphysisches Prinzip ist, finden sich Parallelen in der Quantenphysik und der Systemtheorie – etwa in Konzepten wie Resonanzfeldern oder emergenter Bewegung. Auch die Embodiment-Forschung beschreibt Zustände, in denen der Impuls zur Bewegung vor dem bewussten Entschluss wahrnehmbar ist.

Spanda ist dort, wo sich Gewahrsein und Körper berühren.


Fazit: Spanda ist das Leben, das sich selbst fühlt

Spanda ist kein fernes Konzept, sondern die lebendige Innenseite jeder Erfahrung. Wenn du still wirst und lauschst, kannst du sie spüren – als Schwingung zwischen Tun und Nichttun, zwischen Gedanke und Stille.

Was, wenn der Ursprung allen Handelns ein Hauch ist – ein zittriges Ja des Seins an sich selbst?


Weiterführende Quellen

  • Spanda-Kārikā mit Kommentar von Kṣemarāja
  • Christopher Wallis: The Recognition Sutras
  • Bettina Bäumer: The Divine Creative Pulsation
  • Paul Muller-Ortega: The Triadic Heart of Śiva

Stichwortliste

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